Schweizer Energiewende: grosse Projekte, grosser Frust?
Der Solarexpress stockt, die Windpärke stehen im Gegenwind. Steckt die Energiewende in der Krise? Nicht zwingend, wie der Blick der Partizipation zeigt.
In der Schweiz hat zum Jahresstart hat die Abstimmung der Bündner Gemeinde Surses grosse Wellen geworfen. Denn gut zwei (Auto-)Stunden von Zürich entfernt, hat die Gemeindeversammlung das Stadtzürcher Solarprojekt von EWZ verworfen. Und das gleich in zwei Abstimmungen mit jeweils einem wuchtigen Nein verworfen.
Hier eine kleine Medien-Nachlese aus Sicht der Partizipation. Denn dass Partizipation insbesondere bei Grossprojekten heutzutage zwingend nötig ist, zeigen verschiedene Studien. Für Energieprojekte hat dies z.B. die Forschungsanstalt WSL zuletzt 2022 ausgeführt.
Nationaler Lackmustest oder lokale Gegebenheiten?
Kein Projektleiter arbeitet gerne für den Papierkorb. Wie also konnte es so weit kommen, dass das Resultat so deutlich war? Die Abstimmung wurde im Vorfeld in einzelnen Medien gar als Lackmustest für den (alpinen) Solarexpresss interpretiert. So hat der Blick im Vorfeld gar einen Live-Ticker zur Abstimmung initiiert. Mit der oft grundsätzlich negativen Einschätzung der letzten Tage sind wir bei enovation jedoch nicht einverstanden. Denn gleichentags war zu lesen, wie das beschleunigte Verfahren im Jahr 2023 zu fast 10’000 bewilligten Anlagen allein im Kanton Zürich geführt hat.
Mit der oft grundsätzlich negativen Einschätzung der letzten Tage sind wir bei enovation nicht einverstanden: Denn gleichentags war zu lesen, wie das beschleunigte Verfahren im Jahr 2023 zu fast 10’000 bewilligten Anlagen im Kanton Zürich geführt hat.
Marcel Leibacher, Projektleiter Energie bei enovation
Aus Sicht der Partizipation: vier auffällige Punkte
Nimmt man die Berichterstattung als Basis, zeigen sich aus Sicht von Partizipation und Beteiligung aber ein paar kritische Punkte. Insbesondere bei solchen Grossprojekten haben sie grosses Potenzial. Das gilt sowohl positiv (man beachtet diese) wie auch negativ (wurden nicht oder zu wenig beachtet). Beim Lesen der verschiedenen Meldungen, Interviews und Kommentare fallen v.a. vier Punkte auf.
1. Transparenz
Die grossen (alpinen) Solarprojekte stehen alle unter höchstem Zeitdruck. Denn Unternehmen, die von der bundesrätlichen Initiative profitieren wollen, müssen bis Ende 2025 am Netz sein. Wer aber unter Zeitdruck steht, vergisst gerne die nötige Transparenz. Was die meisten sicher auch aus dem Privatleben kennen («jetzt eifach mache») führt bei Grossprojekten oft zu Einwänden, die dann aber erst an der Urne zum Ausdruck gebracht werden (können). Transparenz ist deshalb zwingend von Anfang an und während des gesamten (Planungs-)Prozesses zu leisten. Einmalige Aktionen (wie z.B. mit nur einer Informationsveranstaltung, wenn die Website der Gemeinde stimmt) können das kaum/nicht leisten.
2. Kommunikation
Sie ist erwiesenermassen ein Schlüsselfaktor bei Grossprojekten. Der Dialog ist aber nur dann partizipativ, wenn er den Beteiligten auch einen gewissen Spielraum lässt. Hier scheinen die EWZ durchaus bei gewissen Akteuren aktiv gewesen zu sein, wie in verschiedenen Interviews betont worden ist (eine Auflistung ist in der Medienpräsentation zu finden). So scheint es, dass die Umwelt- und Naturverbände überzeugt werden konnten. Offensichtlich jedoch konnten mit den Bauern und den Tourismus-Verantwortlichen zwei zentrale Zielgruppen (persönlich Betroffene) nicht abgeholt werden. Und das, obwohl der Tourismus ja von viel Geld hätte profitieren können. Nun, schaut man sich jetzt die Kommunikation zum Projekt auf der Unternehmenswebsite an, liest man von einem «nationalen Vorzeigeprojekt» (steht auch wieder in der Medienpräsentation an erster Stelle). Das mag für das Stadtwerk selber sicher stimmen, zählt aber nicht für die Betroffenen vor Ort. Diese bewerten den direkten Einfluss auf ihren Wohn-, Arbeits- und Lebensraum. Womit wir beim nächsten Punkt wären.
3. Betroffenheit
In einem launigen Kommentar war zu lesen, dass die Schweizer Bevölkerung wohl die generellen Ziele der Energiewende stütze, aber bei konkreten Projekten zu viel Widerstand leiste. Nun, aus partizipativer Sicht ist dieses Verhalten wenig erstaunlich: Partizipation zielt als Methode ja gerade darauf, verschiedene Bedürfnisse abzuholen – ja man kann sagen, gerade wegen diesem Verhalten gibt es Partizipation überhaupt. Und wie die eingangs genannte Studie zeigt,wünschen sich 70 Prozent der Betroffenen bei Grossprojekten eine partizipative Beteiligung.
4. Ressourcen
Werden die Bewohner:innen von betroffenen und umliegenden Gemeinden mitwirkend und frühzeitig einbezogen, erhöht das nachweislich die Akzeptanz eines Projekts. Das braucht natürlich auch finanzielle und personelle Ressourcen – allerdings weniger in Hochglanzbroschüren, dafür mehr in beteiligenden Workshops, örtlichen Begehungen oder vielen anderen möglichen Formaten. Wie auf der EWZ-Website nachzulesen ist, gab es Informationsveranstaltungen in drei Gemeinden. Information aber ist aus Sicht der Partizipation nur die Basis und stellt keine Form der Beteiligung dar.
Fazit – Lehren ziehen, Projekte weiter entwickeln
Natürlich gäbe es weitere Punkte, die in dieser Nachlese genannt werden könnten. Das gilt für die Partizipation selbst, aber auch für politische oder gesellschaftliche Entwicklungen. Trotzdem scheint es ratsam, das zukünftige Vorgehen bei den Projekten anzupassen. Dabei ist es sinnvoll, den Projektleitern die nötige (externe) Unterstützung beiseite zu stellen. Denn auch wenn die 200 Solarprojekte der Solar-Initiative kaum im gewünschten Zeitrahmen realisiert werden können, die strategischen Ziele (weniger Abhängigkeit vom Ausland, mehr Winterstrom, was auch die EWZ betont) bedingen, dass wir alle am gleichen Strick ziehen – wir brauchen ein Miteinander.
Foto: Foto von Tanathip Rattanatum: https://www.pexels.com/de-de/foto/berg-2026454/