«Der Aufwand hat sich gelohnt»
Die Göhner-Siedlung «Sonnhalde» in Adlikon bei Regensdorf war in den 2010er-Jahren ein Ort, den selbst die Polizei gemieden hat. Zehn Jahre später besucht die Projektleiterin Christine Hotz die Grosssiedlung, deren Analyse am Anfang von einem preisgekrönten Entwicklungsprojekt stand.
Christine Hotz arbeitet seit diesem Sommer bei enovation als Projektleiterin. Hier stellt sie im Interview vor Ort ihr preisgekröntes Projekt vor, dessen Methodik ebenso wie der Ansatz der niederschwelligen Quartierentwicklung auch heute noch wegweisend ist.
Wir stehen hier zwischen den Plattenbauten, die Fassaden sind alle renoviert und die Grünflächen sind parkähnlich und gepflegt. Was ist dein erster Eindruck?
Die Siedlung hat sich wirklich gemacht. Als ich das erste Mal hierherkam, galt das Areal mit den 13 Blöcken, oder Zeilenbauten im Fachjargon, als Problemviertel. Eine hohe Jugendkriminalität, keine Quartieridentität, fehlende öffentliche Plätze, um sich zu treffen – es war ein düsterer erster Eindruck. Heute sehe ich zentrale Massnahmen, die ich damals empfohlen hatte, noch immer aktiv – ein gutes Gefühl.
Was fällt dir besonders auf?
Das Projekt hatte ursprünglich den Fokus auf die Jugend gelegt – deshalb hat mich die Gemeinde seinerzeit auch angefragt. Schnell aber wurde mir klar, dass es nicht einfach um Jugendliche mit Problemen ging, sondern um einen ganzen Stadtteil ohne Perspektive für die Siedlungen. Wir haben dann entschieden, den Fokus auf einen ganzheitlichen Ansatz zu legen. Und dass dieser jetzt umgesetzt scheint, freut mich ganz besonders.
Wie bist du vorgegangen?
Für die Analyse habe ich mehrere Methoden kombiniert, auch Interviews vor Ort geführt, ziemlich beängstigend war das damals. Denn es wurden nicht nur Drogen gehandelt, sondern auch Waffen. Damit ich mir ein vollständiges Bild von diesem Sozialraum machen konnte, kam ich auch mehrmals in der Nacht hierher. Neben solchen beobachtenden Begehungen befragte ich auch Familien, männliche und weibliche Jugendliche sowie die Vertrauenspersonen in Schulen. Zusätzlich wertete ich die statistischen Daten der Gemeinde aus, studierte die Grundstückspläne und notierte mir auf meinen Rundgängen die kritischen Orte.
Was waren deine Erkenntnisse?
Man muss sich das mal vorstellen: Es wohnten hier knapp 2000 Personen aus gut 50 Nationen. Es fehlte eine Siedlungs- oder Quartieridentität bei den Bewohnern, insbesondere bei den Personen, die erst ein paar Jahre hier wohnten. Bei den 20 Verwaltungen der Blöcke fehlte es an einer übergeordneten Strategie für die gesamte Siedlung. Aber auch am Verständnis, dass es diese braucht – nur vier Verwaltungen haben den Fragebogen seinerzeit ausgefüllt. Dabei müssen wir bedenken, dass wir hier von der zweitgrössten Plattenbautensieldung schweizweit sprechen, die der Bauunternehmer Göhner ab Ende der 1970er Jahren erstellt hatte. Von der Vision, bezahlbaren Wohnraum für die Mittelschicht anzubieten, traf ich, überspitzt formuliert, auf den Alptraum der ghettoisierten Agglomeration. Aber ich war positiv: In den einzelnen Interviews spürte ich die Bereitschaft und den Willen, das Quartier zu entwickeln.
Also ist jetzt alles gut, wenn du dich umblickst?
Nur aufgrund von unserem Rundgang ein abschliessendes Urteil zu fällen, wäre grob fahrlässig – dass es eine vertiefte Auseinandersetzung braucht, hat ja gerade meine Analyse gezeigt. Ich habe seinerzeit eine Vielzahl von Massnahmen empfohlen. Die einen waren ohne grossen Aufwand umzusetzen, die anderen waren längerfristig und mit Kosten verbunden. Im Begegnungszentrum oder dem kleinen Kaffee-Restaurant sehe ich auch solche grossen Massnahmen umgesetzt. Aber die kleine Ladenstrasse scheint nicht funktioniert zu haben. Ich kann mir aber vorstellen, das liegt weniger am Quartier selbst als am Lädelisterben insgesamt; die grossen Ladenketten sind ja nicht weit von hier. Aber es gibt jetzt ein Begegnungszentrum, das sich um das Quartier kümmert – das sind doch schon mal viel bessere Rahmenbedingungen!
Und welches Fazit ziehst du heute?
Im Anschluss an die Analyse wurde das Projekt unter Begleitung der HSLU weiter entwickelt und verschiedene Gelder gesprochen, um die Siedlung zu entwickeln. Schaut man sich die Kosten für das Projekt an, muss man sagen, dass die Kosten für die Siedlungsentwicklung sehr tief waren. Als Gegenwert gibt es heute zentrale Plätze, wo man sich treffen kann, die Parkflächen sehen gepflegt aus – es gibt kein Littering. Die Gemeinde ist aktiv geworden, was die Voraussetzung ist, ein Quartier zusammen mit den Verwaltungen zu entwickeln. Das alles ist natürlich mit Aufwand verbunden. Aber wenn ich hier so in der Sonne stehe und mich umblicke: es hat sich gelohnt.
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Titelbild: Linus von Känel, 2019, (Hochschule Luzern – Technik & Architektur)