Die Renaturierung von Bächen und Flüssen: Chance oder Unglück für Gemeinden?
Viele Schweizer Flüsse und Bäche sind eingedolt oder kanalisiert. Diese Einfassungen sind oft in die Jahre gekommen. Das Gesetzt schreibt vor, Sanierungen und Ökologie zu verbinden. Wir zeigen in fünf Massnahmen und einem Fazit, wie Gemeinden eine Renaturierung zur Erhöhung der Lebensqualität nutzen.
Die Schweiz liebt ihre Seen und Flüsse. Sie sind der Ort für einen Spaziergang, ein gemütliches Treffen oder Sport und Erholung. Viele Schweizer Bäche und Flüsse fristen dagegen nach wie vor ein oft düsteres Dasein in Kanälen oder Eindolungen. Viele städtische Bauwerke sind nun aber in die Jahre gekommen und müssen saniert werden. Gut möglich aber auch, dass der kantonale Richtplan einer Gemeinde vorgibt, dass diese ihre Gewässer ökologisch aufwerten muss. Diese Vorgabe kann sowohl offene wie eingedolte Fliessgewässer betreffen.
Renaturierung 1
Planungsprozess: frühzeitig Bedürfnisse abholen
Die erste Massnahme bezieht die breite Bevölkerung frühzeitig mit ein. So können Bewohner*innen in einer strukturierten Begehung ihre Bedürfnisse einbringen. Oder die Projektverantwortlichen sammeln und diskutieren die Ideen und Vorstellungen in Kleingruppen. Ebenfalls bewährt haben sich Interviews mit Schlüsselpersonen, gerade wenn sich Nutzungskonflikte abzeichnen.
Diese erste Massnahme kommt sinnvollerweis am besten bereits vor dem eigentlichen Planungsprozess zum Einsatz. Sie hilft den Verantwortlichen, Ansprüche an das Projekt auch in die Ziele miteinzubeziehen. Denn diese werden sinnvollerweise nicht am Schreibtisch definiert, sondern zusammen mit den (zukünftigen) Nutzer*innen. Wissen die Verantwortlichen frühzeitig um die Bedürfnisse von den Betroffenen und einzelnen Anspruchsgruppen, verhindert das spätere Einsprachen und erhöht die Qualität des Projekts.
Mittel dazu sind:
- strukturierte Begehungen
- Online-Umfragen
- bedürfniszentrierte Workshops
- Leitfadeninterviews
Bei Projekten in der Landwirtschaftszone gehören dazu Landwirte, aber auch Fischereivereine oder Spaziergänger*innen. In Siedlungsgebieten bietet es sich an, neben den betroffenen Anrainern auch die Bewohner*innen in den benachbarten Quartieren anzusprechen. Dieses Vorgehen bietet sich insbesondere dann an, wenn es beispielsweise um die Zugänglichkeit geht. Denn all diese Menschen nutzen in Zukunft den attraktiveren (Ufer-)Weg. Spaziergänger*innen flanieren (mit oder ohne Hund) dort, Aktive nutzen ihn für Jogging oder er dient einfach als Schul- oder Arbeitsweg.
Renaturierung 2
Nutzungskonflikte: zielgerichtet lösen
Naturgemäss ergeben sich bei einer Renaturierung auch Nutzungskonflikte. (Wir sprechen hier nicht von Revitalisierungen, zur Unterscheidung siehe z.B. die Übersicht beim BAFU.) Stellen wir uns vor, ein eingedolter Bach würde offen gelegt. Sieht das Gartenrestaurant ein offenes Gewässer als Pluspunkt, schätzt das der benachbarte Gewerbetrieb sicher erstmals anders an. Wer z.B. Parkplätze abbauen will, muss schon gute Argumente vorbringen. Aber auch die besorgten Eltern, die die Sicherheit ihres Kindes gefährdet sehen, müssen gehört werden.
Bei solch komplexen Ausgangslagen eröffnen sich mit den Mitteln des nutzerzentrierten Befragungen (Design Thinking) neue Lösungsansätze. Diese Massnahme dient einer zielgerichteten Partizipation – und gibt den späteren Rahmen vor, in dem die zukünftigen Diskussionen stattfinden. Sie bewähren sich insbesondere in kleinen Gruppen – das stellt sicher, dass alle ihre Bedürfnisse und Befürchtungen auch wirklich nennen können. Dabei ist eine transparente Kommunikation ein zentraler Erfolgsfaktor:
- partizipative Prozessgestaltung
- moderierte Workshops
- transparente Kommunikation
Renaturierung 3
Umsetzung: vorausschauend handeln, nachhaltig investieren
Am Ursprung des Gewässerschutzgesetzes standen rund 15’000 Kilometer verbaute Flüsse und Bäche. Im Zentrum der Umsetzung stehen heute der ökologische Mehrwert und der Hochwasserschutz (oft der eigentliche Treiber für eine Renaturierung). Allein nur diesen Fokus zu setzen, kann jedoch zu eng sein. Denn mit der Klimaerwärmung hat sich schon das nächste grosse städtebauliche Thema am Horizont erhoben.
Der Beweis, dass offene Gewässer einen kühlenden Effekt haben, ist in Studien bereits aufgezeigt worden. Aber wieso nicht auch die Beschattungsstrategie, wie diese bereits in einigen Städten angegangen wird, darin einbeziehen? Wer jetzt vorausschauend plant, handelt für die Zukunft. So entwickelt z.B. eine Gemeinde zusammen mit Anrainern ein Konzept, dass neue Bäume zur Beschattung (und damit für Kühleffekte) miteinbezieht. Dazu braucht es nicht notwendigerweise eine Änderung im Richtplan, sondern kann ruhig auch auf die Freiwilligkeit der Bewohner*innen zählen (analog der Energiewende im Quartier).
- (sozial-)räumliche Analysen (GIS)
- Quartierinitiativen
- Lebensqualität als Standortvorteil
Renaturierung 4
Zugänge und Aktionsräume schaffen
Der öffentliche Raum ist unter Druck – hier muss ein Projekt deshalb einen klaren Mehrwert für die nutzende Bevölkerung aufweisen. Zugänge für spielende Kinder oder badende Hunde können solchen Mehrwert schaffen, vielleicht ist es auch eine Kneippanlage? Bei Grillplätzen können z.B. schon heute digitale Buchungssysteme eine Überbelegung oder unkontrollierter Wildwuchs verhindern:
- Colaboration
- digitale Buchungssysteme
- partizipative Bauprojekte
Das Schaffen von Zugängen oder Aufenthaltsmöglichkeiten muss aber nicht zwingend sein. Neben den Bedürfnissen aus der Bevölkerung gilt es auch, das Machbare vom Wünschbaren zu unterscheiden. Wer hier bereits die ersten Punkte der vorgeschlagenen Massnahmen berücksichtigt hat, kann den Entscheid besser und einfacher kommunizieren.
Renaturierung 5
Unterhalt und Bildung als Massnahme mitdenken
Der Unterhalt von renaturierten Bächen oder Flüssen kann – zumal im landwirtschaftlichen Gebiet – auch von den betroffenen Landwirten ausgeführt werden. Das zeigt das Beispiel aus Köniz. Aber je nach Konzept und Zielen kann der Unterhalt auch von der Bevölkerung mitgetragen werden. Ein gutes Beispiel geben hierzu die Naturtage (Beispiel aus Münchenstein), die viele Gemeinden schon kennen. Das bietet hervorragende Möglichkeiten für die lokalen Vereine von Vogelschützern, Pilzfreunden oder Jagdgesellschaften, sich der breiten Öffentlichkeit präsentieren zu können. Darüber hinaus bieten renaturierte Gewässer auch gute Möglichkeiten, mit Schulklassen den Unterricht für einmal nach draussen zu verlegen.
Fazit
Renaturierung als Chance für mehr Lebensqualität nutzen und alle Nutzergruppen einbeziehen
Wer eine Renaturierung nur als Kostenfaktor sieht, verpasst eine gute Gelegenheit. Es ist unbestritten, dass damit auch (hohe) Kosten auf eine Gemeinde zukommen. Hier kann als Ergänzung zu den vorhandenen finanziellen Beteiligungen eine Public-private-Partnership sinnvoll sein. Bevor man sich jetzt aber auf die Kosten stürzt, sollten erst die Ziele definiert und die Möglichkeiten analysiert werden. In der Kombination von partizipativen und nutzerzentrierten Methoden haben die Gemeinden ein zusätzliches Instrument, dass diese Aufgaben effizient löst und zu einem attraktiven Resultat führt: So steigert sich die Lebensqualität im Quartier und der Gemeinde nachhaltig.
Titelbild von Foto von Pierre Blaché
Contentbild von Foto von Shootcase Chronicles