Wo steht die Schweiz bei der Energiewende im Quartier? – NACHGEFRAGT
Quartiere werden in der Schweiz erschlossen, spielen aber aktiv keine Rolle in der Energiewende. Was Experten zum verpassten Potenzial sagen.
Der Herbst 2022 bewegt die Energiepolitik in der Schweiz – nur: welche Früchte trägt sie? Schaut man auf die nationale Ebene, haben es Grossprojekte weiterhin nur auf dem Papier leicht. In der Realität wird das Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance vermutlich auf absehbare Zeit der einzige Abschluss eines neuen Grossprojekts sein. Weitaus höhere Wellen – die Eröffnung war den Medien immerhin eine kleine Meldung wert – schlagen dagegen die Emotionen, wenn es um den (fehlenden) Zubau von Energie aus Solarpanels, Windpärken oder Biomassekraftwerken geht.
Energie ist nicht gleich Strom
Die Schweiz setzt mit den Förderprogrammen beim Heizungsersatz oder der (Gesamt-)Sanierung den Hebel zu Recht bei der Wärmewende an. Denn die fossilen Energien Gas und Öl machten zusammen auch im Jahr 2021 den grössten Anteil am Endverbrauch aus, knapp vor den Treibstoffen als Spitzenreiter als einzelnen Energieträger. Der Strom folgt in dieser Rangliste erst auf Rang drei, mit einem Anteil von etwas mehr als einem guten Viertel.
Energie zum Heizen und Energie für die Mobilität: Diese Kurzformel zeigt sich dann auch folgerichtig in dem Schlüssel, der den Verbrauch auf die einzelnen Sektoren herunterbricht: Mobilität und Haushalte machen mit Abstand den Grossteil am Verbrauch aus – und hier setzt die Energiewende an.
Das Quartier als Schlüssel
Wohnen und Mobilität? Der Ort, wo beides zusammenkommt, ist das Quartier. Hier wohnt der einzelne ebenso wie die Familie, hier parkt (und lädt vielleicht auch) der individuelle Mobilitätspark und die Quartiere sind durch den öffentlichen Verkehr vernetzt. Hier liegt ein energetisches Potential, das noch weitgehend ungenutzt ist. Aber wieso fehlt das Quartier als «Energiezelle» denn weitgehend in den Diskussionen? Denn das Potenzial, die Versorgungssicherheit des Einzelnen zu erhöhen und die Verfügbarkeit von elektrischer Bandenergie für das Gewerbe zu erhöhen, ist verbürgt.
Zeit also, einmal bei den Experten nachzufragen – und dann daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Stark im Verbund
Kleine Zusammenschlüsse von zwei bis fünf Parteien nutzen mehrmals Synergien. Sei es in der Planung, der Installation oder aber auch der Versorgungssicherheit und der Verfügbarkeit. Was im städtischen Umfeld in der Baugenossenschaft ein Vorbild hat, ist im Zusammenschluss von Einzelpersonen beispielsweise das Stockwerkeigentum. Das funktioniert gut, wenn der Zusammenschluss auch professionell geregelt ist.
«Das Potential ist da, die Informationen nicht»
Der studierte Projektleiter Dominic Müller (Energiebüro AG) arbeitet viel für die Stadt Zürich als Energie-Coach. Sein Büro erarbeitet aber auch Machbarkeits- und Vorstudien, zum Beispiel für Wohnbau-Genossenschaften: «Genossenschaften haben bei lokalen Wärmenetzen den Vorteil, dass die Voraussetzungen für den gemeinschaftlichen Betrieb bereits gegeben sind – falls der Betrieb nicht an einen Energie-Contractor ausgelagert wird.»
Auch als Energieberater haben wir nicht die volle Übersicht, was im Quartiers geht.
In der Lösung mit einem Wärme-Contractor sieht Müller ein realistisches Potential auch für Einzelpersonen, die sich zusammentun wollten. Für ihn liegt aber gerade in der Verfügbarkeit von Informationen ein grosses Problem: «Auch wir als Berater haben nicht den ganzen Überblick, welche lokalen Verbünde es gibt.»
«Die Erfahrungen des Nachbarn sind für das Quartier wertvoll»
Maximilian Müller leitet beim Hauseigentümerverband Zürich das Baumanagement. Wie gross das Interesse am Thema Heizungsersatz oder Gebäudesanierung zurzeit ist, hat der studierte Architekt diesen August selbst erfahren. Am Infoanlass in Zürich-Altstetten kamen über 200 Personen. Müller kennt sich nicht nur bei Einzel- und Mehrfamillienhäusern aus, als Projektleiter hat er über 15 Jahre lang neue Grossüberbauungen begleitet.
Die Energiewende ist ein Generationenprojekt, wir brauchen hier mehr Tempo.
Für ihn ist der Zusammenschluss ein guter Ansatz, das Tempo in der Energiewende zu erhöhen – denn das brauche es: «Die Energiewende ist ein Generationenprojekt. Für Projekte im Quartier sind Erfahrungen besonders wertvoll, die bereits eine andere Bauherrschaft gemacht hat.» Das gilt nach Müller ebenso für Erdsonden- wie Solarprojekte. Denn um zu wissen, wie der Bauuntergrund wirklich aussieht oder der Energieertrag im Jahresdurchschnitt ausfällt, ist der Nachbar ein guter Richtungsweiser.
Informieren, vernetzen, begleiten
Enovation hat sich auf die Entwicklung von Quartieren und Gemeinden spezialisiert. Die interdisziplinären Experten nutzen dazu Daten, partizipative Formate und digitale Kanäle. Ihre Erfahrung hilft Vereinen, Organisationen und Verwaltungen in der Vernetzung. In der Begleitung von komplexen Projekten setzen sie auf schlanke Prozesse und kombinieren dazu die Methoden der Mitwirkung mit den Methoden der agilen Projektleitung.