Ersatz für die Heizung: besser versorgt im Quartier
Die Energiewende stockt in der Schweiz. Während die öffentlichen Stimmen immer schriller werden, rätseln viele private Hausbesitzer: Was mache ich beim Ersatz meiner Heizung? Wieso es sich für Hausbesitzer im gleichen Quartier lohnt, sich an genossenschaftlichen Überbauungen und deren Energiekonzepten ein Vorbild zunehmen.
Die Energiewende verschleppt sich. Selbst nach dem bundesrätlichen Ausruf blieb in den vergangenen 10 Jahren ein merklicher Ausbau bei den erneuerbaren Energien aus. Klimaschutz, Nachhaltigkeit oder die sichere Versorgung – vieles hört sich gut an. Die betroffenen Hausbesitzer sitzen beim Ersatz der Heizung allerdings alleine vor einem schwer durchdringbaren Dschungel von Förder- und Beratungsprogrammen.
Dazu gesellen sich generell grosse Unsicherheiten bei Versorgung mit Wärme und Energie: Was sind die bezahlbaren Lösungen? Insbesondere für die vielen Besitzer*innen von Ein- und Mehrfamilienhäusern gilt es, sich nach sicheren und nachhaltigen Energiekonzepten umzusehen – und es empfiehlt sich, das auch in der Nachbarschaft im eigenen Quartier zu tun. So kommt eine aktuelle Studie der Deutschen Energieagentur (dena) zum Schluss, dass eine quartieroptimierte Energieversorgung mit Wärme und Strom bis zu 45 Prozent günstiger sein kann als die Versorgung von Einzelgebäuden.
Heizungsersatz im Verbund: sinnvolle Alternative für die Hausbesitzer
Die Schweiz ist ein Land der Mieter, lautet ein gerne und oft zitiertes Bonmot. Die Schweiz ist aber auch das Land der Ein- und Mehrfamilienhäuser. So waren im Jahr 2019 erstmals mehr als eine Million Einfamilienhäuser bewohnt. Viele der Hausbesitzer sind zusammen mit ihren Häusern etwas in die Jahre gekommen. Gerade im städtischen Umfeld läuft in vielen Häusern der Lebenszyklus der Heizung ab. Deshalb dreht sich mancherorts derzeit vieles um die Frage: Soll ich meine Heizung jetzt ersetzen oder noch zuwarten?
Vereine, Organisationen und Gemeinden: vernetzt eure Nachbarschaften!
Kaum eine andere Gesellschaftsform ist so nahe an seinen Mitgliedern wie der Verein. Sei es ein Sport-, Musik- oder Kulturverein, die Vereine kennen ihre Mitglieder. Schliessen sich mehrere Vereine beispielsweise für ein Meet-up zusammen, bringen sie viele Betroffene aus einem Quartier oder einer Strasse an einem Ort zusammen. Dazu kennen sie das örtliche Gewerbe und sind mit den Behörden gut vernetzt. Gleiches gilt für die Vertreter von Quartieren oder Beauftragte von Gemeinden: Wieso also diese gute Ausgangslage nicht dazu nutzen, ein nachhaltiges und kosteneffizientes Energiekonzept umzusetzen?
Die Heizung mit Öl oder Gas ist nach wie vor die Standardlösung in der Schweiz. Beide sind nicht nur wegen der Klimadebatte unter Druck. An vielen Orten ist zudem das Erdgasnetz am Ende der Lebensdauer angekommen, es wird in den nächsten Jahren teilweise gar zurückgebaut. Die Heizung sanieren bedeuten Investitionen, das Haus verkaufen für viele Ältere ein emotionaler Abschied.
Zuverlässige Energieversorgung: dezentrale Verbünde für die Energie- und Mobilitätswende
Nun, die Energiewende stockt auch in Europa und Deutschland. Wie deshalb ein schlauer Plan für die Versorgung aussehen muss, sagte gerade (wieder einmal) Joe Kaeser, bis 2021 Vorstandschef des weltumspannenden Energie- und Industriekonzerns Siemens. Im Interview mit einer grossen deutschen Tageszeitung sieht der erfahrene Manager das aktuelle Energiesystem nicht gerüstet. Weder für die Wirtschaft noch die Privathaushalte sind das gute Aussichten: Allein im massiven Ausbau von dezentralen Lösungen erkennt er das Potential, die Energie- und Mobilitätswende zu bewältigen.
Die Studienergebnisse zeigen, dass der Quartiersansatz mit quartiersoptimierter Strom- und
Fazit zur Untersuchung von Energiesystemen auf Quartiersebene (dena, April 2022)
zentraler Wärmeversorgungsinfrastruktur vorteilhaft gegenüber dezentralen, gebäudeoptimierten Energieversorgungskonzepten ist.
Folgerichtig verschiebt sich die Frage nach der richtigen Wahl für den Heizungsersatz auf die persönliche Ebene. Und das unabhängig von der politischen oder ideologischen Einstellung, sondern einzig aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen. Der Ersatz der Heizung ist deshalb ein guter Zeitpunkt für grundsätzliche Antworten. Denn der Heizungsersatz ruft für Hausbesitzer*innen oft auch nach Sanierungsmassnahmen in der Gebäudehülle mit sich – oder beispielsweise der Installation von Solaranlagen.
Die Dena setzt in ihrer Studie den Grad der Selbstversorgung bei Quartierlösungen massiv höher an als bei Einzellösungen. Und das sowohl in urbanen wie in ländlichen Quartieren. Obendrein setzt die Studie die Kosten sehr viel tiefer an. Wieso also wird in dieses Konzept nicht mehr investiert? Christian Huttenloher sagt zum Energiekonzept im Quartier: «Eine Herausforderung bildet die Mobilisierung der Eigentümer. Privatvermieter und Selbstnutzer benötigen dafür eine vertrauenswürdige Information über umsetzbare Maßnahmen.» So steht der Einzelne vor der Frage, wie er gegenüber der Einzellösung überhaupt zu sinnvollen Alternativen in seiner Nachbarschaft gelangt.
Wie also gelingt die Vernetzung im Quartier? Hierbei können beispielsweise Initiativen von Quartiervereinen oder Energieversorgern helfen.
Vorbild genossenschaftlicher Wohnungsbau
Schweizer Wohnbaugenossenschaften stehen beim Heizungsersatz wie die Besitzer*innen von Ein- oder Mehrfamilienhäusern vor ähnlichen Aufgaben. Sie müssen den Zustand der Gebäude analysieren, sich um technologische Aspekte kümmern und natürlich auch die zukünftigen Kosten für den Betrieb berücksichtigen. Dabei müssen sie (zumeist) alle Mitglieder von der ausgewählten Lösung überzeugen. Das erfordert Spezialisten und Experten nicht nur in der Ausarbeitung, sondern schon ganz zu beginn.
Ohne fokussierte Mobilisierung kein Erfolg
Das zeigt ein Beispiel aus der Stadt Zürich. Das junge Paar A.L. und S.P. bewohnt eine Hälfte in einem Doppeleinfamilienhaus und hat keine Aussicht, innerhalb nützlicher Frist an einen städtischen Wärmeverbund angeschlossen zu werden. Sie waren deshalb hocherfreut, als ihnen zusammen mit dem ganzen Quartier vor zwei Jahren eine Einladung zu einem vermeintlichen Vernetzungsanlass zugestellt worden war. Denn auf der Suche nach einem ökologischen Heizungsersatz waren sie auf der Suche nach einer nachhaltigen Lösung, am besten für alle Häuser in ihrer Strasse. Sein Fazit: « Das Interesse an einer übergreifenden Lösung war bei vielen vorhanden. Es hat aber an vielem gemangelt. So waren die anwesenden Personen über die ganze Stadt verteilt, eine ordnende Hand hat gefehlt, die gemeinsamen Interessen konkret weiter zu verfolgen. Der Anlass war schlussendlich nicht mehr als eine Verkaufsveranstaltung im <Speed-Date>-Modus.»
Das Interesse an einer übergreifenden Lösung war bei vielen vorhanden. Aber es hat eine ordnende Hand hat gefehlt, die gemeinsamen Interessen konkret weiter zu verfolgen.
A.L. aus Zürich wünscht sich innovative Lösungen
Der Heizungsersatz im stadtnahen Quartier ist für das Paar deshalb vorerst aufgeschoben. Auch wenn informelle Gespräche mit anderen Bewohner*innen stattgefunden haben – wie so oft blieben diese ohne verbindliche Initiative.
Hier können institutionelle Organisationen einspringen, insbesondere Vereine oder Vertreter von Quartieren. Dazu bietet sich zum Start ein Meet-up an, wo sich Gleichgesinnte aus der Nachbarschaft treffen. Ein ähnliches Format kann auch ein Energie-Stammtisch sein – zentral bei beiden ist es, die Interessierten an einen Tisch zu bringen.
Heizungsersatz im Quartier: neutrale Moderation gefordert, Intermediäre gesucht
Grossen Investitionen wie ein Heizungsersatz locken naturgemäss viele Anbieter an. Dagegen ist nichts einzuwenden. Soll der «Runde Tisch» aber auch wirklich die gewünschten Früchte tragen, so ist zu Beginn des Projekts eine neutrale Moderation und Organisation nötig. Denn das stärkt die Glaubwürdigkeit des Formats. So stehen die Bedürfnisse der Hausbesitzer*inne im Fokus. Und nicht die Verkaufsansichten von den verschiedenen Anbietern wie Planern oder Installateuren.
Die weitere Entwicklung und Umsetzung von solchen Nachbarschafts-Lösungen ist vielfältig. Intermediäre können die richtigen Stellen vernetzen oder die Betroffenen selbst nehmen das Projekt in die Hand und koordinieren sich mit Experten und Fachleuten. Dieser Ansatz gelingt dann, wenn wichtige Prinzipien der Partizipation wie Transparenz und offene Kommunikation eingehalten werden. So können auch Konflikte konstruktiv bewältigt werden und die gewählte Lösung zahlt schlussendlich auch wirklich auf die Bedürfnisse der mitmachenden Parteien ein.
Energie für das Quartier
Enovation unterstützt Organisationen, Gemeinden und Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Energie- und Mobilitätsprojekten. Unsere Experten haben hier eine langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Begleitung von Projekten – sowohl auf Gemeinde- wie Unternehmensseite. Sie wissen um die vielfältigen Ansprüche und kennen sich ändernde Anforderungen. Sie haben deshalb den nötigen langen Atem, um die Projekte gemeinsam zum erfolgreichen Abschluss zu bringen.